Der Themenschwerpunkt der ZEIT-Ausgabe vom 28. Januar 2021 war Die zweite Hälfte des Lebens. Im Ressort »Wissen« stand dazu ein Artikel mit dem Titel: Das Beste kommt noch. Und der Untertitel behauptete: Die Jugend sucht das Abenteuer. Die Lebensmitte setzt uns unter Druck. Das Alter aber übertrifft oft unsere Erwartungen. Das macht glücklich.
Dieser Untertitel hat mich neugierig gemacht und ich hab angefangen zu lesen.
Es geht um Erkenntnisse aus der Forschung, die sehr erfreulich für uns, »die jungen Leute von Gestern« ›› sind: nämlich, dass die Lebenszufriedenheit mit zunehmendem Alter immer größer wird. Genauer gesagt, von 60 Jahren an aufwärts geht es uns besser als je zuvor.
Wenn also der Ausstieg aus dem Arbeitsleben mit Mitte 60 früher als der Anfang vom Ende empfunden wurde, beginnt damit heute die zweite Lebenshälfte. Und diese entpuppt sich als eine Zeit des Wohlbefindens und der Zufriedenheit, die uns zum Beispiel statistisch besser mit den Begleiterscheinungen der Corona-Pandemie fertig werden läßt als jüngere Altersgruppen. So sagen es zumindest entsprechende Studien.
Wie kommt das?
Die Schenkel des Zufriedenheits-U
Begonnen hat es eher durch Zufall: ein Londoner Wissenschaftler namens Andrew Oswald hat sich Ende des letzten Jahrhunderts mit dem Phänomen der Zufriedenheit befasst. Dabei ist ihm aufgefallen, dass immer, wenn bei den Befragungen das Alter eine Rolle spielte, die Studienergebnisse die Form eines U hatten.
Dabei wird der linke Schenkel des U von den 20- bis 40-Jährigen gebildet. In diesem Altersabschnitt hat der Mensch Ideen, wie er sein Leben gestalten will, er ist voller Optimismus und Tatendrang, sucht das Abenteuer, steht im Zenith seiner körperlichen Möglichkeiten.
Der Tiefpunkt der Kurve beginnt mit den 40ern und zieht sich ungefähr bis in die 60er Jahre. Nun ist Ernüchterung eingetreten, viele Ziele sind nicht so erreicht, wie man sie als junger Mensch geplant hatte, Enttäuschung macht sich breit. Einige von uns kennen dieses Phänomen unter dem Begriff Midlife-Crisis. Übrigens sind auch die Scheidungs- und Selbstmordraten zwischen 40 und 50 am höchsten, zumindest in Deutschland und Großbritannien.
Und danach geht es wieder aufwärts. Wieso?
Die heutigen Alten sind jünger als frühere
Körperlich geht es eher bergab, die Alterswehwehchen fangen an, möglicherweise muss man sich als Rentner*in auch finanziell einschränken.
Und trotzdem, ab etwa 60 geht die Zufriedenheitskurve wieder nach oben.
Warum ist das so? Es gibt dafür mehrere Erklärungen.
Zunächst ist es eine Tatsache, dass die Lebenserwartung zunimmt. Sie hat sich seit den 1870er Jahren mehr als verdoppelt. Und wir bleiben länger gesund. Die Alten sind also jünger als sie mal waren. Die Forschung unterscheidet deshalb »junge Alte« und »alte Alte«.
Letztere sind die sehr betagten, denen es körperlich wirklich schlechter geht.
Erstere würden oft gern weiterarbeiten, wenn sie denn dürften, viele starten sogar neu durch. Immerhin haben sie ja oft noch zwei gute Jahrzehnte vor sich.
Sein wird wichtiger als Haben
Die Forscher sagen, dass sich die Prioritäten im Alter verschieben, Sein wird wichtiger als Haben. Der übertriebene Optimismus der jungen Jahre macht einem nüchternen Blick auf die Realitäten des Lebens Platz, der Mensch besinnt sich eher auf das Wesentliche.
Er entwickelt Eigenschaften, die sich unter dem Begriff »Weisheit« zusammenfassen lassen: Altruismus, Gelassenheit, Dankbarkeit. Vergangenes loslassen, verzeihen. Das Glück, Erfahrungen und Leistung weitergeben zu können.
All diese Eigenschaften machen zufrieden und den Lebensalltag erfreulich.
Anders gesagt, wir kriegen die Kurve und werden durch gute Gefühle dafür belohnt.
Aber auch unsere körpereigenen Botenstoffe scheinen eine wichtige Rolle bei der Aufwärtsbewegung des zweiten U-Schenkels zu spielen. Neurowissenschaftler in den USA haben nämlich um die Jahrtausendwende herum entdeckt, dass unser Körper einen Botenstoff produzieren kann, der glücklich macht: Morphium ›› . Und dieses Morphium wird offensichtlich im Alter besonders reichlich ausgeschüttet. Im Gegensatz zu Dopamin, das vor allem im jugendlichen Alter für Gefühle wie Aufbruch, Begeisterung, Lernen steht, sowie Adrenalin, das in der Lebensmitte die Kraft zum Meistern von Problemen geben soll.
Die Konzentration dieser Botenstoffe im Körper entspricht offenbar den Lebensabschnitten mit ihren unterschiedlichen Anforderungen, und sie erklärt die U-Form der Zufriedenheitskurve, die erst ganz oben zerbröselt und sich in der Verzweiflung des Lebensendes (auch das ist ein statistischer Wert) auflöst.
Der wissenschaftliche Nachweis für ein gutes Gefühl tut gut
Ich bilde es mir also nicht ein, dass ich mich seit einiger Zeit viel gelassener, ruhiger, unaufgeregter fühle als vor ein paar Jahren noch und dass ich die Geschenke des Lebens wie Gesundheit, eine schöne Natur, die Gesellschaft lieber Menschen viel mehr genieße als früher.
Ist doch schön, wenn einem ein gutes Gefühl wissenschaftlich nachgewiesen und erklärt wird!
Dodo lazarowicz schreibt
Lliebe ulrike, danke fuer den sehr aufmunternden artikel mit dem “u”. Das ist doch mal eine gute nachricht fuer die oldies und macht ein gutes gefuehl. Hast du auch gut lesbar geschrieben. Dodo
Ulrike schreibt
Vielen Dank, liebe Dodo. Ich fand den Artikel auch sehr aufmunternd und hab ihn deshalb gern geteilt mit allen »U-Turnern».
Karin schreibt
Liebe Ulrike,
ich kann das als 69jährige nur bestätigen. Die depressiven Stimmungen, die ich früher gelegentlich hatte, sind verschwunden. Ich führe es darauf zurück, dass der Stress durch manche beruflich herausfordernde Situationen weggefallen ist. Ein weiterer wichtiger Punkt, wieso ich mich zufrieden fühle trotz finanzieller Einschränkungen, ist meine körperliche Fitness. So lange man sich noch einigermaßen gesund fühlt, kann das Leben im Alter zumindest in Deutschland wirklich sehr angenehm sein. Ich habe FreundInnen, die noch nicht das selige Rentenalter erreicht haben. Sie klagen über enormen Stress und wünschen sich sehr, endlich aus ihrem Hamsterrad befreit zu werden.
Ulrike schreibt
Liebe Karin, du hast absolut Recht: sich körperlich nicht (allzu) eingeschränkt zu fühlen, ist ein sehr wichtiger Aspekt, um das Leben im Alter zu genießen. Aber zum Glück kann man da selbst einiges dazu beitragen.
Yvonne Prager schreibt
Das ist ein toller Blog. Ich habe auch einen sehr guten Tipp für Senioren. Essen auf Rädern in Braunschweig. Ich kann es nur weiterempfehlen https://www.meyer-menue.de/
Ulrike schreibt
Vielen Dank, liebe Yvonne, für das Lob!
Wellenreiterin schreibt
Das u mag ja stimmen, wenn das bisherige Leben soviel Alterseinkommen erbracht hat, dass frau im Alter kein Geld mehr erarbeiten muss, um ihre grundlegenden Lebenshaltungskosten zu decken. Das gilt aber für viele gar nicht. Und dann geht es mit dem Stress immer so weiter. Von wegen Muße !
Ulrike schreibt
Ja, das ist leider wahr! Bei mir geht es auch immer weiter. Aber ein bisschen Zeit für Muße kann man sich schon selbst nehmen …