Mein Schwiegervater ist 102. Er wohnt zuhause, wechselnde Pfleger helfen ihm bei den Dingen des Alltags. Er schläft viel, isst wenig, freut sich an seinem Garten, den er bei schönem Wetter von der Terrasse aus genießt. Den Rest der Zeit liest er Zeitungen und Bücher. Er braucht dazu eine Lupe, denn ein Auge ist erblindet. Außerdem hört er nur noch mit Hilfe eines Hörgeräts. Abends und am Wochenende sieht er sich die Nachrichten und den Sport im Fernsehen an. Wenn man ihn besucht, freut er sich über die Abwechslung. Meistens erkennt er seine Besucher sofort. Nur bei den Enkeln und Urenkeln bringt er manchmal die Zuordnung etwas durcheinander. Geistig ist er noch recht fit, über aktuelle Themen diskutiert er gern mit. Körperlich ist er eher gebrechlich. Regelmäßig kommt eine Physiotherapeutin, die mit leichten Übungen den Rest seiner Beweglichkeit zu erhalten versucht. Die Therapeutin ist jung und fröhlich, er mag sie sehr. An seinem 101. Geburtstag hat jemand alte Schlager auf dem Klavier gespielt und er hat dazu mit ihr getanzt. Danach ist er erschöpft, aber glücklich in seinen Sessel zurückgesunken. Er hat viele Einschränkungen zu ertragen, und doch ist er grundsätzlich positiv gestimmt.

Wenn wir meinen Schwiegervater an dem bayerischen See besuchen, wo er seit seiner Pensionierung lebt, frage ich mich auf der Rückfahrt manchmal, ob ich so alt werden will. Ist dieses Warten auf Besucher und letztendlich auf den Tod wirklich erstrebenswert? Bei ihm jedenfalls scheint es so zu sein.
Ich freue mich über Eure Meinung!