Es ist schön, in Wörthsee zu leben. Vor allem jetzt, während der Corona-bedingten Ausgangsbeschränkungen, fühlen wir uns sehr privilegiert hier. Da ist der See, und da sind die bewaldeten Hügel rundum, in denen man wunderbar spazieren › gehen kann, ohne dass einem viele Menschen begegnen. So lässt sich der Lockdown ganz gut aushalten.
(Fast) jeden Tag gehen wir eine ein- bis zweistündige Runde. Einer unserer bevorzugten Spazierwege führt zu dem bewaldeten Bergrücken, über den man nach Weßling oder auch zu dem Denkmal auf der Dellinger Höhe oberhalb der Eichenallee ›› laufen kann, von wo man bei klarem Wetter einen traumhaften Blick auf die Alpenkette hat.
Das erste Stück dieses Wegs ist eine kleine Straße, die zwischen der S-Bahn-Trasse und dem buchenbestandenen Steinberg nach oben führt. Diesen Weg sind wir auch am Neujahrstag gegangen.
Und gleich nach den letzten Häusern von Steinebach haben wir unseren Augen nicht getraut: halb verborgen hinter dem Gebüsch, das den Straßenrand säumt, waren auf zwei Dritteln des Hangs die Bäume verschwunden, die vor wenigen Tagen noch da standen.
Die hohen Buchen genauso wie die kleineren nachwachsenden Jungbäume, alles lag kreuz und quer in Haufen, es sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen.
Wir waren, gelinde gesagt, entsetzt. Und traurig. Dieser Baumfriedhof machte keinen Sinn. Wer hatte hier so hirnlos gewütet und warum?
Niemand wusste von dem geplanten Kahlschlag
Ich schrieb an die Bürgermeisterin. Sie hatte keine Ahnung von dem Massaker, wollte sich erkundigen. Das Ergebnis: der private Waldbesitzer musste keine Genehmigung für den Kahlschlag einholen. Er habe aber die Wiederaufforstung versprochen (was auch gesetzlich geboten ist).
Mein Mann recherchierte, las Gesetzestexte und Verlautbarungen der zuständigen Behörden, fand heraus, dass dieses Waldstück als »Schutzwald mit Lärmschutzfunktion« und als »Erholungswald« deklariert ist. Und nicht nur das. Er ist auch Teil eines Landschaftsschutzgebiets. Ein Schild am Straßenrand deutet darauf hin.
Ein Schutzwald? Na und?
Der Begriff »Schutzwald«, so haben wir gelernt, hat keinerlei Auswirkung auf das, was der Waldbesitzer damit machen darf. Interessant.
Aber: »Der Landschaftsschutz schließt die Waldflächen ausdrücklich ein. Landschaftsschutzgebiete schützen nicht nur Naturlandschaften, sondern dokumentieren und sichern auch Kulturlandschaften, also land- und forstwirtschaftlich genutzte Gebiete, unter historischen und denkmalpflegerischen Aspekten. Dabei soll die Landschaft in ihrer vorgefundenen Eigentümlichkeit und Einmaligkeit erhalten werden.« (§ 26 Abs. 1 BNatSchG)
Mein Mann schrieb an die Presse, in zwei Tageszeitungen ‹‹ erschienen Artikel dazu. Die Reaktionen darauf waren überwältigend. Es kamen Mails und Anrufe entsetzter Mitbürger, Experten aus dem Naturschutzlager meldeten sich zu Wort.
Wer im Wald spazieren geht, begibt sich also in Lebensgefahr!
Der zuständige Förster kam zum Lokaltermin. Sein Fazit: der Waldbesitzer hat nichts falsch gemacht, denn es habe sich bei dem Waldstück um »Gefahrbäume« gehandelt.
Gefahrbäume? Gefahr für wen? Ein gutes Stück von der Straße weg, noch weiter weg von der Bahntrasse? Und bis weit oben hinauf an den Hang?
Das heißt doch im Umkehrschluss, alle Erholungsuchenden in Wörthsee, die sich zu einem Waldspaziergang entscheiden, begeben sich in Lebensgefahr! Also müsste doch folgerichtig der ganze Wald abgeholzt werden, aus Gründen der »Verkehrssicherung«.
Urteil des Experten: »Absolut unprofessionell«
Mein Mann erinnerte sich an einen Freund aus Studentenzeiten, der Professor für Forstwirtschaft geworden ist und im Laufe seines Berufslebens weltweit aktiv war.
Am Sonntag den 17. Januar 21 hat er uns besucht und wir sind zusammen zum Ort des Massakers gelaufen, von dem die gesägten Stämme inzwischen weggeschafft und ein Stück weiter oben aufgeschichtet worden waren.
Der Experte hat als Erstes festgestellt, dass diese Baumfällungen absolut unprofessionell gemacht worden sind: »Hier sieht es aus, als hätte eine Handgranate eingeschlagen. Alles ist kaputt. Was nicht abgesägt worden ist, ist durch die kreuz und quer umstürzenden Bäume erschlagen worden. Ein Desaster!«
Bei näherer Untersuchung der Reste meinte er, dass die Bäume zwischen 100 und 120 Jahre alt und schon vorher unsachgemäß behandelt worden waren: »Die haben viel zu eng gestanden. Dadurch haben sie zu kleine Kronen ausgebildet, hier sind die einfachsten Regeln der Waldpflege nicht beachtet worden.« Wir erfahren, bis hier nach einer Wiederaufforstung neue Bäume so weit hochgewachsen sind, dass sie in nennenswerter Menge CO2 speichern, dauert das wieder 80 bis 100 Jahre. Da profitieren frühestens die Enkel des Waldbesitzers davon.
Schlecht gepflegter Wald bringt keinen finanziellen Nutzen
Außerdem hat er festgestellt, dass die Bäume durch die schlechte Pflege so geschädigt sind, dass das Holz höchstens als Brennholz taugt, also für den Waldbesitzer keinerlei finanzieller Nutzen aus der ganzen Aktion resultiert.
Warum aber hat er es dann gemacht?
Leider ist dieser neue Kahlschlag nicht der einzige in dem schönen Waldgebiet rund um Wörthsee. Einwohner, die schon viele Jahre hier wohnen, berichten, dass die kahlen Stellen an den Berghängen und auch mitten im Wald im Lauf der Zeit immer mehr geworden sind und der Wald in den letzten Jahren immer ausgedünnter wird.
Was für ein Jammer! Nicht nur, was die schöne Landschaft betrifft, die nach und nach zerstört wird und ihren Erholungswert verliert. Nein, das Schlimme ist auch, dass alle Welt von der Notwendigkeit der Klimarettung redet und jeder weiß, wie wichtig der Waldbestand für die Bindung von CO2 ist.
Und die hiesige Gemeinde hat als eine der wenigen in Bayern am 25. Juli 2019 den Klimanotstand ausgerufen (Nr. 47 auf der Liste ›› )!
Ein weiteres trauriges Beispiel dafür, wie groß geredet und wenig getan wird in der Politik.
Man könnte heulen vor hilfloser Wut und Frustration!
Andererseits, wenn man mal weiter denkt …
Die beiden Fotos unten zeigen das augenblickliche Panorama mit Burgselberg und Steinberg und eine bearbeitete Version, wie es in ein paar Jahren aussehen könnte, wenn die Waldzerstörung so weitergeht.
Aber wer weiß! Vielleicht stehen die Häuser in nicht allzu ferner Zeit auf baumlosen Hügeln, auf denen – der Klimaerwärmung sei Dank – sich Weingärten und Olivenhaine ausbreiten …
Schnee gibt es dann wohl keinen mehr. Und der See ist wahrscheinlich auch schon ausgetrocknet.
Doja Muggenthaler schreibt
Nach vielen Jahren in Groß- und Kleinstädten sind wir 1982 nach Wörthsee gezogen.
So etwas hatte ich noch nie erlebt, vor allem im Frühling:
Ein Vogelgesang am Morgen, der uns aufweckte, der so laut war, dass man sein eigenes Wort kaum verstehen konnte!
Im April und Mai ertönten abends Froschkonzerte von ungeheurer Intensität!
Wenn wir unsere Literarurtreffen draußen abhielten, konnte man bei Froschgequake die Vorleser kaum verstehen. Also lauschten wir und freuten uns.
Ringelnattern, Grashüpfer, Eidechsen, Kröten, Igel, seltenen Vögel, alles schien hier am Ende der Waldstraße im Überfluss vorhanden zu sein.
Seit ungefähr 10 Jahren wird es immer stiller, nur das Rauschen der A 96 ist lauter geworden!
Jedem Vögelchen, jedem vereinzelten Froschquaken hören wir nun ziemlich verzweifelt hinterher. Nun sind wir völlig zum Vorort von München geworden. Ob wir noch zu retten sind?
Ulrike schreibt
Gute Frage, liebe Doja! Ich denke aber, wenn wir uns gemeinsam bemühen, könnte es noch klappen … Danke für Deinen Kommentar!
Karin Mager schreibt
Liebe Ulrike, ich bin beeindruckt, wie intensiv ihr zu dieser Sache recherchiert und euch für die Aufklärung eingesetzt habt. Jetzt würde ich noch zu gern wissen, ob ihr auch mit dem Waldbesitzer sprechen konnte und was seine Begründung für die Abholzungsaktion ist.
Ulrike schreibt
Liebe Karin, vielen Dank für deinen Kommentar. Und nein, mit dem Besitzer können wir nicht sprechen, weil wir nicht wissen, wer er ist (und die Gemeinde darf den Namen nicht rausgeben). Wir wissen nur, dass er aus Seefeld sein soll.