Mein Großvater mütterlicherseits muss ein rechter Haudegen gewesen sein. Kennengelernt hab ich ihn nicht mehr – er ist sieben Jahre vor meiner Geburt einem Schlaganfall erlegen – aber in der Familie kursierten so viele Geschichten über ihn, dass es mir vorkommt, als hätte ich ihn persönlich gekannt. Und wenn ich mir Fotos von ihm ansehe, denke ich, dass ich mich als Kind wohl vor ihm gefürchtet hätte.
Er war ein waschechter Münchner. Nach dem Studium der Pharmazie arbeitete er als „Provisor“ in der Apotheke des fränkischen Städtchens Greding. Dort lernte er die Familie Steinebach (!) vom Haus gegenüber kennen. Er wählte Anna, die zweitälteste der zahlreichen Steinebach-Töchter, zur Ehefrau und zog mit ihr in ein Dorf im Saarland, das damals, zu Beginn des 20. Jh., zu Bayern gehörte.
Für seine wachsende Familie baute er dort ein Haus im fränkischen Stil, mit Treppengiebel, Erker und gotisch anmutendem Aufgang zur Apotheke.
Dieses Haus, in dem ich rund vierzig Jahre später geboren wurde, war ein absoluter Fremdkörper im Dorf. Der bayerische Dialekt meines Großvaters, seine eindrucksvolle Erscheinung und sein notorisch aufbrausendes Wesen trugen dazu bei, dass er eine im Saarland weithin bekannte – und gefürchtete – Persönlichkeit wurde, über die noch viele Jahre nach seinem Tod Anekdoten im Umlauf waren.
Eine davon ging so:
Eines Morgens läutete in aller Herrgottsfrühe ein Bauer an der Apothekentür. Meinen Großvater verdross das – er war kein Morgenmensch. Missmutig ließ er den Bauern ein und ging ins Labor, um die gewünschte Medizin zu mischen. Während der Kunde draußen in der Offizin wartete, entfuhren ihm ein paar kräftige Pupse.
Dem Bauern war das peinlich, und als mein Großvater mit der fertigen Medizin aus dem Labor kam, sagte er, um seine Verlegenheit zu überspielen: „Frühlings wird’s!“ – und mein Großvater brummte, den Mann unter seinen buschigen Brauen heraus grimmig fixierend: „Jaa! Eana Hintern zwitschert scho!“
Als Kinder haben wir uns über diese Geschichte kaputtgelacht, und immer, wenn es Frühling wird und vielstimmiges Vogelgezwitscher einen frühmorgens aus dem Schlaf holt, muss ich wieder daran denken.
Wir haben den Winter genossen
Dies ist also unser erster Frühling in Steinebach (Omas Mädchenname, s.o.!). Der Winter war, wie schon in einem früheren Beitrag › erwähnt, überhaupt nicht so trist, wie manche Leute es vorhergesagt hatten. Im Gegenteil: wir haben die verschneite Landschaft genossen und der Wörthsee bot jeden Tag einen anderen Anblick. Zeitweise war er sogar fast bis zur Mitte zugefroren, und das sah wunderschön aus.
Und jetzt ist der Frühling da.
Die Vögel singen, die Sonne scheint warm. Der Balkon ist wieder hergerichtet, sogar frühstücken konnte man schon draußen. Bei unseren täglichen Spaziergängen freuen wir uns über die blühenden Gärten und über jeden Schmetterling.
Seit dem Volksbegehren für Artenvielfalt, bei dem unser Landkreis besonders gut abgeschnitten hat – wir sind ganz stolz darauf! – haben wir, die unbedarften Neulinge aus der Stadt, uns über eine insektenfreundliche Bepflanzung von Gärten und Balkonen schlaugemacht.
Fachkundig begutachten wir jetzt jedes Blümchen am Wegesrand, loben oder tadeln, wie die Gartenbesitzer ihre Flächen gestalten und erkundigen uns in der Gärtnerei, wie wir die wilden Bienen am besten auf unseren Balkon locken.
Jede Hummel und jedes Rotkehlchen wird freudig begrüßt, und neulich waren wir ganz aus dem Häuschen, als wir sahen, wie eine der so selten gewordenen Feldlerchen in den blauen Frühlingshimmel aufstieg und lauthals ihr Lied trällerte!
Beim „Kiosko“ am See kann man schon gemütlich seinen Cappuccino schlürfen und den Joggern und Anglern zusehen. Auch wenn die Segelboote noch gut verpackt an Land auf ihren Einsatz warten, geht es am Wochenende bereits zu wie im Hochsommer. Letzten Sonntag ist sogar der erste Badende im See gesichtet worden! Und im Kreisblättchen wird das durch die vielen Stadtflüchter wieder aktuelle Parkplatzproblem diskutiert.
Wir aber haben es gut, denn wir sind davon nicht betroffen. Wir laufen oder radeln zum See und können uns dafür die ruhigen Zeiten aussuchen.
Es fehlt uns nichts, im Gegenteil!
Es fühlt sich weiterhin so gut an, wie es im letzten Sommer angefangen hat, nachdem wir mit zunächst gemischten Gefühlen aufs Land gezogen sind: wir genießen es in vollen Zügen, hier zu leben! Die wunderbare Luft, die schöne Landschaft, die netten Menschen, mit denen man so leicht ins Gespräch kommt, – beim Spazierengehen, zur Blauen Stunde im Dorfladen ››, bei vielerlei Veranstaltungen. Ob es der Angler ist, der bereitwillig erklärt, dass die Renke „maßig“ sein, also eine bestimmte Größe haben muss, damit er sie fangen darf, ob es der emeritierte Professor ist, der hier seinen Lebensabend verbringt und spannende Geschichten zu erzählen hat, oder ob es der kreative junge Schlosser ist, der alle und jeden kennt und gerne hilft, Kontakte zu knüpfen.
Es fehlt uns nichts, im Gegenteil! Die Stadt ist nah genug, um dort Termine wahrzunehmen oder Kultur zu genießen, wenn uns danach ist. Die wird aber auch hier reichlich geboten und ich glaube, in München waren wir nicht öfter im Kino um die Ecke als hier im Breitwandkino im Seefelder Schloss, das gerade mal fünf Autominuten entfernt ist und Klassefilme in ganz besonderem Ambiente zeigt!
Es ist einfach schön hier, und nach wir vor sind wir davon überzeugt: es war die richtige Entscheidung, aufs Land zu ziehen!
Ich freue mich über Eure Meinung!