Als ich vor etwas mehr als einem Jahr meinen Beitrag › über das Trainieren des Hippocampus im Alter geschrieben habe, wusste ich nicht, dass etwa zur selben Zeit in der Wissenschaft angezweifelt wurde, dass sich das Gehirn im Alter wirklich noch trainieren lässt.
Gut so! Denn nun haben neue Untersuchungen der Universidad Autónoma in Madrid ergeben, dass das sehr wohl so ist. Dort hat ein Neurologenteam anhand einer neuen Studie mit 60 Probanden festgestellt, dass sich auch in den Gehirnen von Erwachsenen bis ins hohe Alter neue Nervenzellen bilden. Damit wurde bestätigt, was schon seit zwei Jahrzehnten bekannt war und was aber jene andere Studie im März 2018 an der University of California in San Francisco zu widerlegen schien. Die Studie besagte, dass jenseits der Kindheit neue Neuronen nicht mehr entstehen können. Grund für dieses Ergebnis war, wie man jetzt weiß, eine Methode, die offenbar neu gebildete Neuronen in einem bestimmten Stadium nicht mehr nachweisbar machte, obwohl sie da waren.
Gehirnzellen regenerieren sich bis ins hohe Alter
Uff! Wir können uns also wieder mit gutem Gefühl dem Studium neuer Sprachen oder anderer Themen widmen, denn das hilft uns ja, wie jetzt wieder ganz klar bestätigt wurde, dass wir geistig fit und rege bleiben. Natürlich vorausgesetzt, dass wir nicht unter Alzheimer leiden. Auch wenn die Regeneration im Alter leicht abnimmt, hört sie doch nicht auf – und zwar bis in weit in die Achtziger. Das ist doch eine richtig gute Nachricht!
Es gibt also keine Entschuldigung, sich geistigem Müßiggang hinzugeben: „Es hilft ja doch nichts“ ist wissenschaftlich widerlegt. Es muss ja nicht unbedingt das Erlernen einer neuen Sprache sein, auch wenn das erwiesenermaßen unser Gehirn besonders fordert. Und außerdem hat es den schönen Nebeneffekt, dass wir Bewunderung und Lob ernten, wenn wir uns auf unseren Rentnerreisen in der Landessprache verständigen können – ein bisschen reicht ja schon!
Interaktion ist wichtig
Wir können aber auch eine Vorlesung an der Uni belegen, zu einem Thema, das uns immer schon interessiert hat. Oder wir können Kurse machen, in kreativem Schreiben, zum Beispiel, oder Malkurse, oder lernen, wie man mit den sozialen Medien und dem Internet umgeht (unsere Enkel werden stolz auf uns sein!) oder was auch immer. Wichtig ist, dass damit eine Interaktion verbunden ist, dass wir uns mit anderen austauschen und ein Ziel haben, das wir erreichen wollen. Auf jeden Fall gilt, wer seine Autonomie bis ins hohe Alter bewahren möchte, muss ein bisschen was dafür tun!
Also, raus aus dem Fernsehsessel und ran an die Herausforderungen!
Wie ich kürzlich gelesen habe, lernt man am besten, wenn man sich etwa zwanzig Minuten lang auf den Stoff konzentriert. Dann sollte man dem Hirn Gelegenheit geben, abzuschalten und in den „diffusen“ Zustand zu gehen. Zum Beispiel durch Spazierengehen, Trampolinspringen, Kochen oder Backen, oder auch Nichtstun … Schon fünf Minuten sollen reichen. In dieser Zeit wandert das Gelernte aus dem Kurzzeitgedächtnis über neue Neuronenverbindungen gemütlich ins Langzeitgedächtnis hinüber. Nach der Pause hilft die Wiederholung des Gelernten, diese Verknüpfungen zu verstärken. Dann wieder eine Pause. Und das Ganze so oft, bis alles sitzt.
Ich hab es schon beim Russischlernen ausprobiert, und es funktioniert wirklich. Völlig unmerkbare russische Wörter, z.B., sind nach drei bis vier Durchgängen plötzlich da. Und sie bleiben. Ein tolles Erfolgserlebnis!
Es lohnt sich, das auszuprobieren!
Dr. med. Irmtraud Sprenger-Klasen schreibt
Liebe Ulrike, in Deinem Beitrag sprichst Du das Thema der „ungeahnten Möglichkeiten der Regeneration des menschlichen Gehirns“ an. Beim Lesen erinnerte ich mich an einen Artikel in der FAZ Ende letzten Jahres, auf den ich – bezugnehmend auf Deinen Beitrag – kurz zusammenfassend eingehen möchte:
Während ich dies schreibe, entstehen in meinem Gehirn neue neuronale Verbindungen, gleichzeitig sterben aber auch etliche Gehirnzellen ab. Dieser Vorgang stellt die Grundlage für Lernprozesse jeglicher Art dar. Man spricht von „Neuroplastizität“, der Fähigkeit des Gehirns, sich spezifischen Anforderungen anzupassen. Es ist die „Neuroplastizität“, die es dem Gehirn ermöglichet, nach akuten Schädigungen wie einem Schlaganfall verlorengegangene Funktionen wiederzuerlangen.
Faktoren, die die „Neuroplastizität“ nach einer Hirnschädigung fördern sind solche, die die Hirnleistung auch bei einem gesunden Menschen beeinflussen. Hierzu gehören insbesondere die an der Blut-Hirn-Schranke ablaufenden Prozesse wie die Versorgung des Gehirns mit Glucose und Sauerstoff.
Seit kurzem ist bekannt, dass sich an der Blut-Hirn-Schranke auch grundlegende Prozesse der Zelterneuerung abspielen. Das ist ja das Thema, das Du, liebe Ulrike in Deinem Beitrag ansprichst.
Es konnte nämlich gezeigt werden, dass auch noch bei Erwachsenen in der Nähe der an der Blut-Hirn-Schranke liegenden Hirnnervenräume neue Nervenzellen gebildet werden. Verantwortlich hierfür ist das enge Zusammenspiel der kleinen Hirngefäße mit den umgebenden Astrozyten und Stammzellen. Dieser Hirnbereich wird daher als „Neurovaskuläre Nische“ beschrieben.
Da zahlreichen Hirnerkrankungen eine Störung an der Blut-Hirn-Schranke zugrunde liegt, stellt diese „Neurovaskuläre Nische“ natürlich auch ein Ansatz für regenerative Therapien dar.
Kürzlich konnte sogar der Nachweis erbracht werden, dass die Entstehung neuer Nervenzellen in der „neurovaskulären Nische“ aktivitätsabhängig bis ins hohe Alter gefördert werden kann. Das bedeutet: Jedes körperliche Training unterstützt nicht nur das Herz-Kreislaufsystem, den Fettab- und Muskelaufbau, sondern auch die Zelterneuerung im Gehirn. Studien belegen, dass über 80 Prozent der Leistungsfähigkeit des Gehirns direkt durch körperliche Tätigkeit beeinflußt werden kann.
Für die „Verfestigung“ der neugebildeten Synapsen (Schaltstellen) und für die strukturelle Integration der neugebildeten Nervenzellen sollen aber auch erholsamer Schlaf und Stressreduktion eine wichtige Rolle spielen.
Liebe Ulrike, ich hoffe, mit meinem Beitrag Deinen „Motivationsapell“ etwas unterstützt zu haben und wünsche „gutes Gelingen“!
Ulrike schreibt
Liebe Irm, ganz herzlichen Dank für Deine zusätzlichen Ausführungen, die bestimmt zusätzlichen motivieren, sich selbst und den eigenen Geist auch im höheren Alter zu bewegen! Wie man sieht, kann das nur von Nutzen sein – und es ist ja auch ein wirklich wichtiges und spannendes Thema für uns alle!
Dagmar Springer schreibt
Danke für Euren hochinteressanten Austausch.