Wie kommt sie zu diesem Namen? Die alte Dame lacht. „Das war auf der Kunstakademie“, sagt sie. „Jeder musste seinen Namen oben auf die Staffelei schreiben. Ich habe „Winne“ draufgeschrieben und irgendwer, ich glaube es war meine Freundin Gesa, hat das zu „Winnetou“ ergänzt. Ich hab mich dann auch an Fasching als Indianer verkleidet. Der Name ist mir mein Leben lang geblieben. Heute noch nennen mich meine Künstlerfreunde so“.
Die Malerin Else Winnewisser ist 81 Jahre alt. Letzte Woche haben wir sie in Karlsruhe besucht. Ich wollte sie für Eigenleben interviewen.
Wir waren ein halbe Stunde zu früh dran, aber das war für sie überhaupt kein Problem. Sie hatte schon Kaffee und Tee gekocht und Kuchen und selbstgebackene Plätzchen bereitgestellt. Als Erstes mussten wir also kräftig zulangen. Dabei plauderten wir ein bisschen, zum Aufwärmen. Wir hatten uns kurz davor in München getroffen, wo ihre Tochter mit Familie lebt, und da hatte sie sich einverstanden erklärt, dass wir sie zuhause besuchen und dort auch Fotos von ihren Bildern machen durften.
Else Winnewisser ist eine unglaublich vitale Frau. Sie wirkt wie Anfang 70, ihre Haut ist glatt und rosig, die hellen Augen blicken wach. 1936 in Heidelberg als jüngste Tochter eines Volksschullehrers geboren, sollte auch sie Lehrerin an der Volksschule werden. Sie aber wollte Malerei studieren. „Meine Schulnoten waren nicht so fein wie die meiner großen Schwestern, aber in Kunst war ich immer gut!“
Sie setzte beim Vater durch, dass sie die Aufnahmeprüfung und ein Probesemester an der Kunstakademie in Karlsruhe machen konnte. Als sie nach der Probezeit einen mit 100 Mark dotierten Preis für eine Zeichnung bekam, durfte sie das Studium fortsetzen, allerdings mit der Auflage, zur Sicherheit auch die Prüfung fürs Lehramt zu machen.
Sie pendelte täglich von Heidelberg nach Karlsruhe, ein Zimmer dort wäre für die Eltern nicht bezahlbar gewesen. Mit dem Auszählen von Lottozahlen sonntags in Heidelberg und später mit dem Verkauf von Bildern finanzierte sie sich ihr Studium selbst.
Bei ihrem Examen 1960 kam es zu einem Eklat: ihre Zeichnungen von Huhn, Kopf und Akt entsprachen nicht der Prüfungsordnung, die noch aus der Zeit des Nationalsozialismus stammte. Es gab einen Aufschrei innnerhalb der Kunstszene und HAP Grieshaber, ihr damaliger Professor, trat aus Protest zurück. Sie machte dann die Prüfung ein Jahr später noch einmal, und diesmal waren ihre Zeichnungen den Prüfern genehm.
Mit ihr zusammen studierten heute so bekannte Künstler wie Horst Antes, Walter Stöhrer und Hans Baschang. Der um 9 Jahre ältere Heinz Schanz aber war der Star der Klasse. Ihn hatte HAP Grieshaber entdeckt und gefördert. Und ihn hat sie dann geheiratet.
Als ihre Tochter geboren wurde, ging sie als Kunst- und Erdkundelehrerin ans Gymnasium, trotz erfolgreicher Ausstellungen und obwohl ihre Künstlerfreunde die Nase rümpften: solches Sicherheitsdenken war doch spießig! „Aber ich musste ja die Familie ernähren! Ausgemacht war, dass ich so lange in die Schule gehe, bis der Herr Schanz erste Erfolge hat. Dann würde ich mich wieder dem Malen widmen.“
Doch dazu kam es nicht. Als Heinz Schanz erste Ehrungen und Preise und Stipendien in Florenz und Rom erhielt, waren sie schon geschieden.
Also schickte sie die Tochter aufs Internat und arbeitete weiter an der Schule. Zum Malen hatte sie auch jetzt wieder keine Zeit. Das Internat war teuer und Nebentätigkeiten mussten helfen, über die Runden zu kommen. So gründete sie eine Malschule, arbeitete neben dem Unterrichten als Fachbearbeiterin, Seminarleiterin, im Kultusministerium in Stuttgart, machte Ausstellungen von Schülerarbeiten, verlieh Preise, erstellte die Abituraufgaben für das Fach Kunst … Ihre Schulkarriere hat sie dann als Studiendirektorin beendet: „Wenn ich etwas mache, mach ich es richtig!“ sagt sie.
All die Jahre hat sie ihre eigene künstlerische Tätigkeit immer hintangestellt, denn ihr Motto ist „Erst kommt der Mensch, dann kommt die Kunst!“
Und doch hat ihr das Malen immer gefehlt. „Ich träume meine Bilder, und dann muss ich sie malen, damit ich sie aus dem Kopf bekomme!“
Lang hatte sie dazu nur wenig Gelegenheit. Von einer kleinen Erbschaft kaufte sie ein Grundstück im Hinterland der Provence, nicht weit von Orange. Dort lebte sie in einem Wohnwagen, bis sie das Geld zusammen hatte, um nach und nach ein Haus darauf zu errichten.
Dieses Haus in Frankreich wurde ihr Zufluchtsort, an den sie sich in den Ferien zurückzog, um zu malen.
Noch heute fährt sie jedes Jahr für mehrere Monate hin. Sie malt, pflegt ihren Garten, genießt ihr kleines Reich am Fuß des Mont Ventoux, einsam in einem Pinienwald gelegen. Sie fährt mit dem Auto dort hin, allein, die 800 km in einem Rutsch, fast ohne Pause. Für sie ist das kein Thema: „Das macht mir nichts aus. Ich kenne ja jeden Stein auf dem Weg dorthin!“
Heute malt sie eher kleine Formate, für die großen hat sie nicht mehr die Kraft, sagt sie. Viel Arbeit machen auch Ausstellungen, das Aussuchen der Bilder, die Rahmungen. Auch fährt sie oft nach München. Zum Beispiel, um dort vor Weihnachten bei ihrer Tochter Plätzchen zu backen. Immer ist sie bereit, anderen zu helfen, schon ihr Leben lang.
Else Winnewisser, genannt Winnetou, ist eine starke, bewundernswerte Frau. Ein Indianer eben.
Sie erzählt, dass sie eine befreundete Bildhauerin besuchte, als diese gerade kleinen Kindern Unterricht im Figurenformen gab.
„Komm rein, Winnetou,“ sagte die Freundin, „ich mach dir einen Kaffee.“
Da stupst der eine Steppke den anderen an: „Sag mal, hast du gewusst, dass der Winnetou in Wirklichkeit eine alte Oma ist?“
Und die alte Dame Winnetou lacht.
Das Interview mit Else Winnewisser ist demnächst auf Eigenleben.jetzt ›› zu lesen.
Ich freue mich über Eure Meinung!