Im Winter stellen wir unsere Olivenbäume, die Zitrone und andere empfindliche Pflanzen auf unserem Balkon in ein Zelt, um sie vor Frost zu schützen. Wenn es dann zwischendurch mal etwas wärmer ist und die Sonne scheint, ziehen wir die Reißverschlüsse auf, damit ein bisschen mehr Licht und Luft rein kann.
Als wir in diesem Frühjahr das Zelt wieder abgebaut haben, um die Pflanzen an ihren gewohnten Platz zurückzustellen, ist uns in einem der Töpfe ein kleines Loch und daneben ein Erdhäufchen aufgefallen, auch auf dem Boden davor war Erde verstreut.
Wir haben uns nicht allzuviel dabei gedacht, doch während wir die Töpfe hin-und hergeschoben haben, kam plötzlich ein kleines bräunliches Wesen blitzschnell hinter einem der Töpfe hervorgeschossen und verschwand sofort irgendwo zwischen den Pflanzen.
Eine Maus!
Die erste Maus
Eine Maus auf unserem Balkon im ersten Stock, wie ist das Tier denn da raufgekommen??
Es gibt zwar eine Glyzinie, die von der Terrasse der Nachbarn unter uns fast bis zum unteren Rand unseres Balkons hochgewachsen ist, aber das letzte Stück? Wie hat sie das überwunden? Ist sie gesprungen? Oder ist sie an einem der glatten Metallrohre, auf denen der Balkon steht, hochgeklettert?
Wie auch immer, gesehen haben wir sie nicht mehr. Bis einige Tage später wieder ein kleines rundes Loch in einem der großen Blumenkästen zu sehen war, so wie man sie oft dicht an dicht auf Wiesen und Äckern findet.
Zu sehen war sonst nichts. Doch spät am Abend, als wir kurz die Außenbeleuchtung angemacht haben, haben wir die Maus gesehen, wie sie die glatte Wand des Kastens hinuntergesaust und im Schatten der anderen Töpfe verschwunden ist.
Sie war also noch da. Was tun? Was, wenn sie im Sommer durch die offene Balkontür in die Wohnung kommt und sich in unserem Sofa ein gemütliches Nest baut? Wie würden wir unser neues Haustier dann wieder loswerden?
Wie lockt man eine Maus in die Falle?
Wir besorgten eine Lebendfalle und fingen an, zu recherchieren: was für eine Maus könnte das sein? Und womit könnten wir sie in die Falle locken? Mit Karotten- und Selleriestückchen, hieß es im Netz, am liebsten aber fräßen sie Topinambur. Doch nichts davon hat sie angerührt, unsere Maus. Und gesehen haben wir sie auch nicht mehr. Dass sie jedoch noch da war, haben die allmorgendlich frisch gebuddelten Ausstiegslöcher verraten.
Nachdem sie das Gemüse konsequent verschmäht hat, haben wir es schließlich mit den Haferflocken probiert, die die Vögel auf unserem Balkon so gern naschen. Und siehe da, die haben ihr geschmeckt! Morgens waren sie aus der Falle verschwunden, doch die Falle war leer, keine Maus war drin – irgendwie war es ihr gelungen, den Auslösemechanismus für die Klappe zu überlisten.
Doch dann, große Überraschung! Eines Morgens war sie drin, sie saß in der Falle, unsere Maus!
Sie war relativ groß, und leider hatte die Fallenklappe ihr Schwänzchen eingeklemmt und verletzt: am Schwanzansatz waren ein paar Tröpfchen Blut zu sehen! Das arme Tier!!
Schnell haben wir sie mit der Falle hinuntergetragen und auf der benachbarten Wiese freigelassen, wo sie sofort unter einem Blätterhaufen verschwand.
Wir waren sehr erleichtert, dass wir das Problem gelöst hatten, aber ein bisschen waren wir auch traurig. Gerade hatten wir uns damit abgefunden, dass wir einen kleinen Mitbewohner auf dem Balkon hatten – und genau da hat es sie erwischt!
Echt schade!
Die zweite Maus
Aber, oh Wunder, am nächsten Morgen war da wieder ein Loch an der gewohnten Stelle in der Blumentopferde!
Was war das denn? War unsere Maus zurückgekommen? Über die Wiese, ums Haus herum, auf die untere Terrasse und von dort hochgeklettert in den ersten Stock??
Kaum zu glauben! Aber der Blumenkasten war eindeutig wieder bewohnt!
Wir haben also die schon weggeräumte Falle erneut mit Haferflocken bestückt und aufgestellt.
Am nächsten Tag: nichts. Die Flocken weg, die Falle leer. Und wieder das Loch neu ausgebuddelt. Jeden Tag, immer wieder.
Dann, nach mehreren Tagen, die morgendliche Entdeckung: da ist ja wieder was drin in der Falle! Aber eindeutig eine andere Maus, deutlich kleiner als die erste. So klein, dass sie sich problemlos in der Falle drehen und wenden und hin-und herlaufen kann.
Als eine Amsel neben ihr auf dem Boden landet und verstreute Haferflocken aufpickt, sitzt sie ganz erstarrt und stellt sich tot, als die Amsel weg ist, läuft sie wieder hektisch hin und her und knabbert an den Käfigstangen auf der Suche nach einem Weg in die Freiheit.
Das wars jetzt, haben wir gedacht …
Auch dieses Mäuschen haben wir auf die Wiese getragen und freigelassen und blitzschnell ist es unter Zweigen und Blättern verschwunden.
Das wars also.
Haben wir gedacht!
Es ist alles wieder von vorn losgegangen. Plötzlich waren da wieder Löcher und aufgewühlte Erde unter den inzwischen erblühten Veilchen im Topf. Und wieder ist die Falle nach ein paar Tagen ungestraften Haferflockengenusses zugeschnappt.
Auch diesmal ist es ein kleines Mäuschen, so groß wie Nummer 2. Sind das Kinder von der ersten, größeren Maus?
Wohnt da in unserem Topf eine ganze Familie?
Auch Maus Nummer 3 wird freigelassen, diesmal auf einem weiter entfernten Feld, nur für den Fall, dass sie auf die Idee kommt, zurückzukehren …
Das ist jetzt ein paar Tage her und noch hat sich kein neuer Ausschlupf in unserem Topf gezeigt. Auch alle anderen Töpfe stehen morgens unberührt da.
Wars das jetzt? Können wir jetzt sagen: Aus die Maus?
Falsch gedacht
Von wegen: Gestern, am hellichten Nachmittag, sehe ich aus dem Augenwinkel ein winziges Mäuschen Haferflocken aus dem Teller für die Amseln knabbern. Und dann ist es so schnell weg, dass ich denke, ich habe schon Halluzinationen und sehe überall Mäuse, wenn auch keine weißen …
Aber wo kommt Maus Nummer 4 denn her? Nach wie vor ist die Erde in allen Töpfen unberührt – sie wohnt also woanders. Nur wo? Und wieso läuft sie tagsüber rum, während ihre Vorgänger nur nachts ausgingen?
Also her mit der schon wieder verräumten Falle, Haferflocken rein und abwarten. Mehr können wir nicht tun. Und wir sind gespannt, wie es weitergeht …
Klar ist nur eins: DA MUSS IRGENDWO (NOCH) EIN NEST SEIN!
Und in der Tat: schon heute früh sitzt sie in der Falle. Sie ist noch kleiner als die anderen und hat ein dunkleres Fell. Hektisch saust sie hin und her, sucht nach einem Weg in die Freiheit.
Die bekommt sie dann auch, noch weiter weg, am anderen Ende des Feldes. Für alle Fälle …
DAS MÄUSEPARADIES
Ich stell mir vor, wie Mama Maus (unsere Maus Nr. 1) ihrer Kinderschar aus dem nächstfolgenden Wurf, dort im kuscheligen Nest unter dem Blätterhaufen, die abenteuerliche Geschichte von ihrem Ausflug ins Mäuseparadies erzählt:
»Im Winter, als es so kalt war und kaum was zu fressen zu finden war, hab ich gesehen, wie auf einem Balkon hoch oben manchmal Vögel gelandet sind, die dann dick und vollgefressen wieder weggeflogen sind. Aha, hab ich gedacht, dort gibt es bestimmt Vogelfutter, da geh ich auch hin!«
»Warum?« fragt eins der Mausbabys.
»Naja«, sagt Mama Maus, »Vogelfutter schmeckt sehr lecker, und sonst gab es ja nicht viel zu fressen, das hab ich doch schon erzählt!
Ich bin also zu dem Balkon hochgeklettert, hab dort in einem Blumentopf in einem kuschelwarmen Zelt mein Nest gebaut und mich immer wieder an dem Vogelfutter vollgefressen, das dort jeden Morgen auf einem Teller lag. Und als der Winter vorbei war und die Menschen, die dort wohnen, das Zelt abgebaut haben, hab ich mir einen schönen großen Topf mit weicher Erde ausgesucht und dort ein Nest gebaut.«
»Warum?« fragt ein anderes der Mausebabys.
»Weil ich gemerkt hab, dass die Mausekinder, eure großen Geschwister, die in meinem Bauch waren, aus dem Bauch rauswollten, und da sollten sie es schön gemütlich haben.
Und so war es dann auch. Tagsüber haben wir uns alle aneinandergekuschelt, und in der Nacht, wenn die Menschen geschlafen haben, sind wir rausgekrabbelt und haben von dem Vogelfutter gefressen. Aber dann war plötzlich der Teller mit den Körnern weg!«
»Warum?« fragt das dritte Mausebaby.
»Das weiß ich nicht,« sagt die Mausemama. »Aber da war dann auf einmal so ein kleiner Käfig aus Draht, und da waren köstliche Haferflocken drin. Und wie ich die gefressen hab, ist auf einmal die Tür von dem Käfig zugeklappt und ich konnte nicht mehr raus!«
»Warum?« fragt Mäuschen vier.
»Das weiß ich auch nicht!« antwortet Mama Maus. »Ich weiß nur, dass die Tür einfach nicht mehr aufgegangen ist. Und sie hat sogar meinen Schwanz eingeklemmt, so schlimm, dass es geblutet hat! Das hat sehr sehr weh getan!«
»Aua!« sagt das fünfte Mausekind. »Und dann?«
»Vielleicht können wir wieder da hin?«
»Dann ist ein großer Mann gekommen und hat mich mit dem Käfig auf die Wiese hier gebracht und mich aus dem Käfig rausgelassen! Da war ich sehr froh, aber auch ein bisschen traurig!«
»Warum?« fragt das sechste Mäuslein.
»Weil meine Kinder, eure älteren Geschwister, ja noch da oben waren! Aber die waren inwischen schon so groß und so schlau, dass ich glaube, denen hat das nichts ausgemacht, dass ich weg war. Und dann ist ein paar Tage später wirklich nochmal der große Mann gekommen mit dem Käfig, und da war eins von euren Brüderchen drin, und das hat er dann auch freigelassen!«
»Hurra!« rufen alle Mausekinder zusammen. »Dann kommen die anderen bestimmt auch noch!«
»Ja, da bin ich ganz sicher, dass die anderen Kinder auch freigelassen werden, wenn sie in den Käfig krabbeln. Aber eigentlich ist das sehr schade!«
»Warum?« fragen alle Mausebabys gleichzeitig.
»Weil es so schön da oben war: ein kuscheliges Nest, keine bösen Katzen oder Raubvögel, und jeden Tag frisches Futter! Ein echtes Mäuseparadies!«
»Ja, das war bestimmt sehr schön!« sagen die Mausekinder. »Vielleicht können wir wieder da hin?«
Und während sie gemeinsam überlegen, wie sie das anstellen könnten, warten wir Menschen auf Maus Nummer 6, nachdem wir an zwei Tagen hintereinander Maus 4 und 5, zwei besonders zarte Exemplare mit noch dunklerem Fell als die vorherigen, aufs Feld getragen haben.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass es noch ein bisschen dauert, bis wir endgültig sagen können:
Klappe zu, Falle leer!
Irmgard schreibt
Im Mäusenetz seid Ihr sicherlich schon als besonders gastfreundliches B&B gelistet. Bei utopia.de findet Ihr Rat, wie Euer so beliebtes Angebot weniger einladend zu gestalten ist, dabei stets tier-, menschen- und umweltfreundlich.
Glatte Klettersteige sind offenbar keine Abschreckung, bei Nachbarn kamen diese Gäste durch die Regenrinne auf den Balkon im 3. OG und vernaschten auch dort entzückt das Vogelfutter.
Bitte weiter so empathisch berichten, wie Ihr Euer Nager-Angebot deoptimiert.
Ulrike schreibt
Liebe Irmgard, danke für dein Lob und die Infos Deoptimieren des Nager-Angebots und zum Klettervermögen von Mäusen! Man lernt ja nie aus …
Tina Stadlmayer schreibt
Liebe Ulrike, eine sehr schöne Geschichte!! Hoffentlich haben inzwischen alle ein neues Zuhause auf der Wiese gefunden!
Ulrike schreibt
Hm, ja, liebe Tina, das denke und hoffe ich auch, dass es den Tierchen mit den süßen Knopfaugen in ihrem natürlichen Habitat inzwischen gut geht!
Christine Müller schreibt
Liebe Ulrike,
das leckerste womit du Mäuse fangen kannst ist Erdnussbutter.
Stell doch ein Töpfchen oder besser einen Eimer mit Einstieghilfe, ein kleines Brett z.B. unter dem Balkon auf. Die Mäuschen klettern hoch, fallen hinein und kommen nicht mehr heraus.
Und kein Schwänzchen wird eingeklemmt!
So habe ich in meiner Kindheit einige Mäuse gefangen.
Unten…..! Denn Mäuse können die Hauswand hochklettern.
Eine langjährige Mäuseliebhaberin
Christine
Ulrike schreibt
Liebe Christine, ich sehe, auch du bist eine langjährige Mause-Fang-Expertin. Erdnussbutter mag ich aber nicht … was mach ich dann mit den Resten?? Dann doch lieber Haferflocken!
dodo lazarowicz schreibt
Mit diesem Thema tue ich mich schwerer als die Meisten von Euch, sehe ich.
Ich wohne ja in einem Stadthaus, unweit des „eigenleben“ im zweiten Stock. Das Haus ist von Wein bewachsen. Es wimmelt von Tieren, Mäusegrossfamilien, Spinnen, Vögerl, Eichhörnchen und keine Ahnung, wer das sonst drin lebt?
Besonders im Winter fülle ich abends eine Schale mit Körnerfutter, Nüssen, Apfelstückchen, Orangenschnitzen und was ich noch so finde und wünsche guten Appetit.
Manchmal hör ich sie nachts knuspern und knabbern und tappsen und freu mich drüber. Sehen lassen sie sich leider kaum. Zu schüchten.
Einmal gab es einen Mitbewohner, der tödliche Mäusefallen im Hof aufgestellt hatte. Jeden Morgen fand ich die mit den toten Tierchen drin. Wir hätten den Mann fast gelyncht. Er ist dann lieber ausgezogen.
Was ich sagen will: Was stört Dich, Ulrike oder Euch andere eigentlich an den Mäusen? Warum müssen die weg? Wieso könnt Ihr nicht mit denen leben, den Balkon o.ä. miteinander teilen und Euch arrangieren? Was tun sie Euch an?
Das versteh ich nicht?
Ulrike schreibt
Liebe Dodo, vielen Dank für deinen Kommentar. Deine Frage kann ich gern beantworten: ich hab gar nichts gegen Mäuschen und andere Tierchen (wir haben jede Menge Vögel, Insekten, auch Eichhörnchen auf unserem Balkon), im Gegenteil, ich finde sie sooo niedlich mit ihren kleinen Knopfaugen …. Ich mag aber nicht, wenn sie dann durch die offene Balkontür in die Wohnung kommen und die Polstermöbel anfressen, um sich darin ein Nest zu bauen. Das hatte ich einmal in einer anderen Wohnung in München, und ich finde, das muss nicht sein. Ich denke mir auch, dass ein Mäuschen, das fürsorglich in sein natürliches Habitat zurückgebracht wird (hier sind das Wiesen und Felder, in der Stadt mag das nicht so einfach sein …), dort besser aufgehoben ist: es hat ja viel mehr Platz und ist nicht auf einen kleinen Balkon gepfercht, von dem es nicht runter kommt, kann mit seinen Artgenossen leben und sich weiter vermehren, was ja wohl der Sinn seines Daseins ist.
Andreas Sebastian Müller schreibt
Liebe Ulrike,
Klappe zu, Falle leer? Na ja, da beißt die Maus keinen Faden ab, Steinebach ist offensichtlich ein perfektes Biotop für anhängliche Mäusefamilien. Vorschlag: Lagebesprechnung unter Deinem Vorsitz unten auf der Terrasse beim Raabe am See, umgeben vom vielfältigem Wörthsee-Getier. Thema: Von Menschen und Mäusen. Einführung, Ausprache, Umtrunk – aus die Maus.
Wiederholung dann im Café Eigenleben. Ich bringe Haferflocken mit.
Ulrike schreibt
Lieber Andreas,
herzlichen Dank für deinen kreativen und anspielungsreichen Kommentar! Deinen Vorschlag nehme ich gern an. Melde dich, wenn dich mal die Lust auf die Terrasse vom Raabe am See packt, dann halten wir die Lagebesprechung mit anschließendem Umtrunk ab.
Übrigens: im Moment ist tatsächlich Klappe zu, Falle leer. Keine Maus mehr da! Eigentlich schade …
dodo lazarowicz schreibt
ulrike,
ich hatte neulich noch ein p.s.vergessen, worum es mir dabei vor allemmm geht:
du behandelst die keinen knopfaugenwesen ja offenbar sehr vorsichtig respektvoll, was ich gut und richtig finde.
nur grundsätzlich geht es bei diesem und vielen ähnlichen theman mit tieren darum, dass wir menschen uns für die auserwählten halten, die über leben+tod der tiere zu entscheiden haben. sozusagen als unser verbrieftes recht. und das ist für mich der sprimgende punkt, das sind wir nicht und das haben wir nicht. aber mit genau der haltung haben wir den planeten in grund und boden gewirtschaftet und ganz viele fast oder bald unbewohnbar gemacht. woher massen wir uns diese haltung an? machet euch die erde untertan? ein e sehr überhebliche aufforderung der kirche. und das kommt dann davon.
ein kleiner nachtrag.
Ulrike schreibt
Du hast natürlich Recht, Dodo, mit dem was du sagst. Aber ich hoffe, dass in dem Beitrag rüberkommt, dass wir uns ja FÜR die Tiere entschieden haben, indem wir sie in die Freiheit entlassen haben, in ihr natürliches Lebensumfeld …