Nach 59 Jahren schließt unsere Lieblingsgemüsefrau ihren Stand auf dem Münchner Viktualienmarkt. Fast jeden Samstag haben wir bei ihr unseren Vorrat für die Woche eingekauft. Ihr Standl liegt ganz am Rand des Marktes, dort, wo kaum Touristen vorbei kommen, gleich neben der Holzhütte für die Mülltonnen. Frau Dworschak ist eine kleine, rundliche Frau mit weißen Löckchen und freundlichen braunen Augen hinter einer großen Brille. Sie wird bald 80, aber das sieht man ihr nicht an. In all den Jahren ist sie jeden Arbeitstag morgens um 4 aufgestanden, hat ihre Ware eingepackt und ihren Stand hergerichtet. Bei Kälte, strömendem Regen und sommerlicher Hitze. Stammkunden bekommen von ihr eine bevorzugte Behandlung. Die Begrüßung ist herzlich-familiär: „Grüß Gott beisammen! Wo wart’s denn am letzten Samstag? Mir ham euch gar net gsehn!“ Dann ist es gut, wenn man eine passende Ausrede für sein Nichterscheinen hat.
Mit wachsamen Augen hat sie stets darauf geachtet, dass man nur die beste Qualität erhält. Den selbst ausgesuchten Salatkopf hat sie einem dann schon mal kopfschüttelnd aus der Hand genommen. Am Korb mit den Salaten hat man dann gelernt, wie ein guter, frischer, makelloser Salat auszusehen hat. Und es ist vorgekommen, dass man den Kürbis, den man soeben unter Beachtung aller gelernten Kriterien vom Stapel nehmen wollte, schnell wieder losgelassen hat, weil Frau Dworschak hinter ihrem ausgebreiteten Grünzeug energisch mit dem Finger gefuchtelt hat: „Na, der Kürbis taugt nix mehr, den lassen’S liegen!“ Ein Kunde, der kurz danach denselben Kürbiskopf kaufen will, darf dies unbehelligt tun und wird mit freundlich neutraler Miene abkassiert. Apropos abkassiert: wenn alle Einkäufe in den mitgebrachten Taschen verstaut sind, werden ein paar Bananen, Äpfel, Orangen oder andere Zugaben oben drauf gepackt. Und immer wird der Preis abgerundet: „16,80 – des san 15 gradaus.“ Zum Abschied bekommt man liebevoll den Arm getätschelt und ein freundliches „Schönes Wochenend!“ nachgerufen.
Nun hört sie also auf. Die Augen wollen nicht mehr. Und außerdem ist die Familie weit aufs Land hinaus gezogen, 50 km in Richtung Augsburg. Das würde jeden Tag 100 km Fahrt bedeuten. Nein, das ist ihr jetzt doch zuviel. Und die jungen Leut haben ein Gemüsegeschäft am neuen Wohnort aufgemacht. Dort will sie der Schwiegertochter noch ein bisschen zur Hand gehen. Schade. Frau Dworschak wird uns fehlen. An ihrem letzten Tag auf dem Viktualienmarkt sind wir nicht in München. Und danach müssen wir nach einem neuen Gemüsestandl Ausschau halten. Es wird nicht einfach sein, einen adäquaten Ersatz zu finden.
Mit Frau Dworschaks Weggang hört auch für uns ein Stück echtes München auf. Sehr schade.
Dworschak schreibt
Vielen Dank für den schönen Bericht über meine Mama.
Ich bin die Tochter und nicht die Schwiegertochter 🙂
Ich werde den Artikel meiner Mama vorlesen.
Liebe Grüße
Sabine Dworschak
Ulrike schreibt
Liebe Frau Dworschak, ich freue mich sehr über Ihr Lob und ich hoffe, Ihre Mama mag den Artikel auch!