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EigenSinnBücher»Resto qui – Ich bleibe hier«

Über den großartigen Roman des Mailänder Autors Marco Balzano

»Resto qui – Ich bleibe hier«

Den alten Kirchturm, der aus dem Wasser des Reschensees an der Grenze zwischen Tirol und Südtirol ragt, haben viele schon gesehen und fotografiert. In dem spannenden Roman »Resto qui« (»Ich bleibe hier«) schildert der Autor durch die Stimme seiner Protagonistin Trina die akribisch recherchierten Hintergründe der Geschichte, die sich hinter diesem surrealen Bild verbirgt.

Autorin: Ulrike

Jeder, der schon mal über den Reschenpass ›› nach Südtirol gefahren ist, kennt das Bild, das auf dem Cover des Romans »Resto qui« (deutscher Titel: »Ich bleibe hier«) zu sehen ist. Es ist das Foto eines Kirchturms aus dem 14. Jahrhundert, der aus dem Wasser des Reschensees ragt. Ein Bild, das an die surreale Kunst von René Magritte denken lässt.

Oft sieht man in Bussen herangekarrte Touristen hier Schlange stehen, um vom Steg aus ein Selfie mit dem gefluteten Kirchturm im Hintergrund zu machen.

Buchcover Resto qui
Buchcover »Resto qui«. Foto: Ulrike Ziegler

Welche Geschichte verbirgt sich hinter dem Bild?

Auch der in Italien sehr erfolgreiche Mailänder Autor Marco Balzano (geb. 1978) ist im Sommer 2014 hier vorbeigekommen. Selfies haben ihn jedoch nicht interessiert.
Ihn hat vielmehr die Frage fasziniert, welche Geschichte hinter dem versunkenen Kirchturm und den mit ihm überfluteten Dörfern Reschen und Graun steht. Und diese Frage hat ihn nicht mehr losgelassen.
Über Jahre ist er immer wieder in das Grenzgebiet zwischen Tirol und Südtirol zurückgekehrt, hat alles studiert, was er über das Schicksal der beiden Bergdörfer in Erfahrung bringen konnte, hat letzte Zeitzeugen befragt.

Und die historischen Details, die er akribisch zusammengetragen hat, sind in seinen Roman »Ich bleibe hier« eingeflossen. Er erzählt darin die Geschichte einer fiktiven Familie, die es so gegeben haben könnte und die stellvertretend für all die Bewohner der beiden Bergdörfer steht, die sich gegen die Zerstörung ihrer Heimat bis zuletzt gewehrt haben.

Ein Bericht aus der Sicht der Ich-Erzählerin

Der Autor läßt seine Protagonistin Trina, eine junge Lehrerin aus Graun, über die Geschichte der Familie und damit zugleich des Dorfes berichten.
Wie in einem langen Brief an die abwesende Tochter Marica, die als kleines Mädchen 1939 von Verwandten nach Deutschland entführt worden ist, läßt er Trina im Rückblick schildern, was der Familie seit ihrem Verschwinden zugestoßen ist.
Sie erzählt von der jahrelangen verzweifelten Suche der Eltern nach dem verlorenen Kind, vom Krieg, der auch in die abgelegenen Bergdörfer Südtirols viel Leid gebracht hat und vor dem sich Trina und ihr Mann Erich, der den Kriegsdienst für die Faschisten verweigert, in ein Versteck hoch oben in den Bergen flüchten.

Jeder Widerstand gegen das Staudammprojekt ist zum Scheitern verurteilt

Und sie erzählt, wie nach Kriegsende das Projekt der Italiener, zwei Seen im Langtauferer Tal zu stauen, entgegen der Hoffnung der Talbewohner fortgesetzt wird. Wie sie und ihr Mann versuchen, zusammen mit anderen Gleichgesinnten, unter Gefahr für Leib und Leben Widerstand gegen eine skrupellose Obrigkeit zu leisten, umsonst.
Der Staudamm wird gebaut. Ohne Vorwarnung durch die Behörden werden die Dörfer schließlich geflutet und die Bewohner müssen sich im letzten Moment in die für sie als Ersatz an höherer Stelle gebauten Baracken flüchten.
Das blühende und idyllische Tal, in dem die Bergbauern seit Jahrhunderten gelebt und gearbeitet haben, ist unwiederbringlich verloren.

Ein komplexes Thema, in einfacher Sprache erzählt

Balzano erzählt in einfachen, klaren, der Sprache seiner Protagonisten angepassten Worten über ein großes und überaus komplexes Thema. Es geht in dem Roman nicht nur um die Geschichte einer Familie, es geht auch um die Geschichte eines Kriegs und einer Gesellschaft, und es geht um nicht weniger als die Geschichte Europas im letzten Jahrhundert.

Ich fand das Buch mitreißend und überaus spannend zu lesen. Es ist unfassbar, wie unmenschlich mit den Bewohnern dieses Tals umgesprungen wurde, erst bei der erzwungenen Italianisierung Südtirols und dann beim gnadenlosen Akt der Flutung.

Und wenn man am Ende erfährt, dass der Staudamm nicht einmal genug Energie liefert, um den Bedarf der umliegenden Siedlungen zu decken, so dass diese Strom aus Frankreich zukaufen müssen, wird die Absurdität dieses Projektes, das so vielen Menschen Unglück gebracht hat, in ihrem ganzen Ausmaß offensichtlich.

Ein Zeichen der Versöhnung

Ich habe dieses faszinierende Buch im Original gelesen. Es hat in Italien und Frankreich verschiedene Preise gewonnen – zu Recht, wie ich finde!
Die deutsche Übersetzung von Maja Pflug ist am 1. Juli 2020 im Diogenes Verlag unter dem Titel »Ich bleibe hier« ›› erschienen.

Dass Balzano als Italiener die Geschichte von Graun erzählt, wurde in Südtirol übrigens als Zeichen der Versöhnung verstanden.

 

 

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